Samstag, 9. Mai 2009

Ostkanada Hummer zum Frühstück

Sanddünen statt Berge, Lobster statt Elche: Prince Edward Island hat 800 Kilometer Strand und den besten Hummer der Welt.
Von FOCUS-Online-Autorin Michaela Strassmair
peterschatz.com
Idylle auf PEI: Fischerboote im Hafen von Rustico
Er quietscht und ruckelt, der alte Pick-up mit der Aufschrift „Traveling Man“. Die Fahrertüre ächzt und heraus springt Allan. Mit Fingerhandschuhen aus dicker, weißer Wolle rückt er seine Baseballkappe zurecht und schnappt sich eine der Fallen, die sich auf seinem Pick-up türmen. 300 Fallen will Allan bis abends abgeladen haben. Jede einzelne hat er von Hand gezimmert und mit Netzen bespannt. Allan Coady ist Hummerfischer auf Prince Edward Island, der kleinen Atlantikinsel vor der Ostküste Kanadas, angrenzend an die Provinzen Neufundland, New Brunswick und Nova Scotia.

Kein Ort mehr als 16 Kilometer vom Meer entfernt


PEI heißt die Abkürzung für die halbmondförmige Insel. Im kanadischen Slang wird das kaugummiartig gezogen und klingt ausgesprochen nach etwas Unappetitlichem aus der Babysprache – wie „pih-ii-ei“. Derweilen ist die 250 Kilometer lange Insel im Sankt-Lorenz-Golf alles andere als unappetitlich. Gourmets aus aller Welt läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn der Wonnemonat Mai beginnt. Denn dann startet die Hummersaison auf PEI, die bis Ende Juni dauert. Neben dem Anbau von 1300 Millionen Tonnen Kartoffeln (ein Drittel der kanadischen Kartoffelernte) zählt die Fischerei zu den Haupteinnahmequellen der rund 140 000 Einwohner von PEI. 30 Sorten Fische, vom Hering bis zu riesigen Thunfischen, Meeresfrüchte, Zuchtmuscheln und Malpeque-Austern leben rund um die Insel. Und natürlich der König der Gewässer, der Hummer. Er ist es gewesen, der Allan auf die Insel zog.

Von der Ölplattform aufs Fischerboot


20 Jahre arbeitete Allan Coedy auf einer Ölplattform in der westlichen Prärieprovinz Alberta. Bis sein Schwiegervater nach einem Nachfolger rief. Allan fuhr mit einem Truck, seiner Frau und den beiden Kindern sieben Tage lang quer durch Kanada. Und lernte vom Schwiegervater auf PEI die Techniken des lukrativen Hummerfischens: In den 1,30 Meter langen Holzfallen werden drei Makrelen aufgespießt. Durch zwei wadengroße Löcher im Netz können die Lobster auf beiden Seiten zum Köder hinein- und theoretisch auch wieder hinauskrabbeln. „Aber wenn einer drinnen frisst, dann drängen die anderen auch rein und wollen was von den Makrelen abbekommen“, sagt Allan. Zehn Hummer, dann schnappt die Falle zu.

Kniehoch am Meeresgrund


Über eine bewegliche Ebene rutschen die blau-grau-violett-grünen Tiere in den Teil des Hummerkorbs, aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Bis Allan kommt. Um 4.50 Uhr morgens knattert der kräftige Mittfünfziger mit dem Fischerboot fünf Kilometer ins Meer hinaus zu seinen gelb-roten Bojen. Aus drei bis vier Metern Tiefe hievt Allan die Hummerkörbe an Bord, schüttet die lebendigen Tiere zu einem Berg auf, lässt die Fallen wieder hinunter auf den felsigen Grund und tuckert zurück in den Hafen. Nach 24 Stunden fährt er wieder hinaus, um erneut fette Beute an Bord zu ziehen. „Manchmal sind es so viele, dass sie sich einen halben Meter hoch am Meeresboden stapeln – das will man nicht glauben, wenn man es nicht gesehen hat“, sagt Allan und klatscht sich vor Freude mit der flachen Hand auf die Schenkel.

Ein Kilogramm Hummer verkauft er durchschnittlich für 3,50 Euro – an Restaurants, Händler, Geschäfte, Privatleute und Touristen. „Aber nur gegen Cash“, sagt er und lacht herzlich, schallend und laut, wie es einem mit irischen und schottischen Wurzeln in die Wiege gelegt ist. Bis zu vier Kilogramm bringen Allans Hummer auf die Waage, dann sind die Tiere mit dem Chitinpanzer ungefähr acht Jahre alt. „Hummer können uralt werden, bis zu 100 Jahre“, raunt Allan. Die Kleinen wirft er zurück ins Wasser, zur Sicherung des Bestandes.
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In den vielen kleinen Buchten auf PEI gibt es auch viele Leuchttürme
Im Gegensatz zu anderen Regionen scheint das vor PEI zu funktionieren. Jeder Fischer braucht eine Lizenz und darf maximal mit 300 Fallen arbeiten. „Hier vor der Nordküste der Insel ist das beste Lobstergebiet der Welt wegen der speziellen Wassertemperaturen des Golfstroms“, schwärmt Allan, „das haben Wissenschaftler herausgefunden“. Von den alten Insulanern hat er erfahren, dass Hummer in den 1950er-Jahren den Tieren als Fraß vorgeworfen wurde – „damals war Lobster eher Abfall und keine Delikatesse“.

800 Kilometer Strand


Mit dem Imagewandel des Hummers hin zum Luxusgut sind auch die Touristen gekommen. Viele aus China und Japan. Seit 1997 ist die Anreise nicht mehr so umständlich, PEI ist einfacher zu erreichen: Eine 13 Kilometer lange Pfeilerbrücke übers offene Meer verbindet das Festland bei New Brunswick mit der Insel. Die Touristen lieben nicht nur das zarte Hummerfleisch, die 25 Golfplätze in der sattgrünen Natur, die verschlafenen Fischerdörfer, Leuchttürme und das Leben ohne Hektik und Hupen, sondern auch die 40 einsamen Strände. 800 Kilometer Strand schlängeln sich um PEI.

Der Sand ist mal weiß, mal rosa, die Sanddünen goldfarbenen, mancherorts eingerahmt von roten Klippen. Stets getreu dem Inselmotto: „Jede Meile ein Strand, jeder Strand eine Meile“. Und baden lässt es sich dort auch – ab Juni. Dem Golfstrom sei Dank, er bringt im Sommer Wassertemperaturen um die 21 Grad Celsius.

Wenn der Hummer am Finger hängt


Warmes Wasser mögen auch die Hummer gerne. „Im Mai sind sie noch weit draußen und bewegen sich in Zeitlupe. Im Juni aber kommen sie näher ans Ufer, weil das Wasser dort wärmer ist, und da darfst du deine Hand nicht in die Falle halten“, erklärt Allan. Schnapp. Ist der Finger erst in einer Schere eingezwickt, „tut es verdammt weh, und du musst die Schere abbrechen, denn der Hummer lässt nicht los“. Nicht mal bei einem Mann im Holzfällerhemd. Allan muss Gummibänder um die Scheren seiner Lobster wickeln, eine kniffelige Arbeit. Sonst sind sie unverkäuflich.

Unverkäuflich? Bislang hat Allan all seine gefangenen Hummer wie warme Semmeln verkauft. „Viele auch an Touristen, die schon morgens mit uns hinausfahren, um beim Fang dabei zu sein oder sich ihren eigenen frischen Hummer kochen wollen.“ Er selbst nimmt nur samstags zwei Lobster mit nach Hause. Nach welchem Rezept bereit der Fischer sie zu? „Einfach kochen“, schmunzelt Allan. „22 Minuten, und sie schmecken himmlisch.“

source: focus

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