Wiesn: Hier werden Sie betrogen
MÜNCHEN - Vier Wochen ist die Wiesn her, die meisten haben sie schon vergessen. Eine Kellnerin nicht. Sie arbeitete zum ersten Mal auf dem Oktoberfest, verdiente 8000 Euro – trotzdem will sie es nie wieder tun. In welchem Zelt sie war, möchte sie nicht sagen. Aber sie hat sich an die AZ gewandt, hier ihre Geschichte:
„Abends auf dem Heimweg habe ich oft in der U-Bahn geheult. Ich war nach 16 Stunden Schicht völlig erschöpft und hatte Angst, überfallen zu werden. Vier meiner Kolleginnen wurden ausgeraubt, 2000 Euro Wechselgeld und Einnahmen – weg. Meine Füße schmerzten, als liefe ich auf dem blanken Knochen. Ich habe fünf Kilo abgenommen.
Klar, ich wusste, was kommt. Und tagsüber war’s viel schlimmer: Gäste, die dich wie ein Stück Fleisch behandeln, begrapschen, anschreien, am Arm packen und kein Trinkgeld geben. Auf der anderen Seite Kellner, die jeden abzocken, der zu viel intus hat. Beschiss überall.
20, 30 Maß mehr auf der Rechnung - alles ganz normal
Bei Reservierungen ist es üblich, mehr abzurechnen: 20, 30 Maß, dazu Hendl und Haxen. ,So macht man sein Geld’, sagten die Kollegen.Einer ging mal zu weit: 20 Personen hatten reserviert, wir teilten sie uns, jeder 10 Leute. Die Gesamtrechnungen schrieben wir auf einem Zettel auf. Am Ende hatte ich eine Rechnung von 250 Euro, der andere 500 – doppelt so viel! Der Gast war stinksauer. Mir schlotterten die Knie. Ich hatte selbst acht Bier mehr notiert.
,Der geht zum Geschäftsführer’, dachte ich und sah mich schon auf der Straße. Die Wirte sind knallhart. Wer bescheißt, fliegt. Trotzdem tun es alle, in allen Zelten. Am Ende zahlte er doch und ging.
Es ist einfach zu leicht: Wer bis zum Anschlag säuft, ist das perfekte Opfer. Sie bestellen wild durcheinander und wissen am Ende nicht, was sie alles hatten. Schon gar nicht um halb elf mit zwei Promille. Bei einzelnen betrunkenen Gästen verlangte ich daher gleich 10 Euro pro Maß.
Haxn auf dem Boden, Kellner naschen vom Käsebrettl
Beim Essen wird auch beschissen – und da wird’s richtig eklig. Wie bei der Haxn. Eine Kollegin trug an einem Tag mal eine durchs Mittelschiff. Es war Mittag, alles ruhig, keine Musik. Mitten zwischen den Tischen rutschte ihr der Fleischbrocken vom Schlitten auf dem Boden. Der Teller rutschte eineinhalb Meter weiter. Sie ging in die Knie, packte die Haxn, legte sie auf den Teller und servierte sie drei Tische weiter. Die Gäste haben nix gemerkt.
Andere langen an der Küchendurchreiche tüchtig zu: Ich sah einen Kellner, der das halbe Käsebrettl aß. Ein anderer griff mit seinen verschwitzten Händen voll Bier und Schmutz Kaiserschmarrn-Stücke vom Teller. Die Küche selbst ist immer sauber, die passen auf. Jedenfalls bis das Essen rausgeht...
Wer nichts trinkt, wird rausgeekelt
Manchmal kann ich es verstehen. Einige Gäste haben es nicht anders verdient. Total besoffene Typen kriegen oft alkoholfreies Bier. Die merken’s nicht und kotzen uns nicht auf die Tische.
Wer nix trinkt, den ekeln wir raus. Der versperrt nur den Tisch. Also provozieren wir. Viele Besoffene flippen da aus. Beschimpfungen wie ,Schlampe’ und ,Hure’ sind normal. Einer hätte mich mal fast verprügelt. Die Security ist aber immer blitzschnell zur Stelle und schmeißt die Gäste raus. Der Tisch ist wieder frei, die Abzocke geht weiter. Aber in Zukunft ohne mich.“
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