Montag, 29. September 2008

Blankes Entsetzen in den USA: Das Scheitern des Rettungsplans der Regierung in Washington macht den Amerikanern endgültig klar, dass ihr Finanzssystem

30. September 2008, 00:51 Uhr

SCHWARZER MONTAG

"Ich hörte, sie springen wieder von der Brücke"

Von Susanne Amann, San Francisco

Blankes Entsetzen in den USA: Das Scheitern des Rettungsplans der Regierung in Washington macht den Amerikanern endgültig klar, dass ihr Finanzssystem vor dem Kollaps steht. Im Land wächst die Wut auf die Großen aus Politik und Wirtschaft.

San Francisco – Keine Handyverbindung, keine Webseiten - es war, als könnte das ganze Land es nicht glauben: In den ersten Minuten, nachdem die Abstimmung über das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket für die Banken im US-Kongress gescheitert war, ging erst mal nichts mehr in Amerika. Die Online-Auftritte der großen Nachrichtensender waren für Minuten lahmgelegt, Handys landesweit nicht mehr zu erreichen. Als ob die ganze Nation den Atem anhalten würde, weil sie selbst nicht glauben konnte, was ihre Abgeordneten in Washington getan hatten.

Proteste in Washington: "Die Republikaner haben den Rettungsplan versenkt"
AFP

Proteste in Washington: "Die Republikaner haben den Rettungsplan versenkt"

Doch die Schockstarre dauerte nicht lange, schon nach wenigen Minuten schien eine Woge aus Wut und Verzweiflung über die USA hereinzubrechen. Die großen Fernsehsender jagten die Nachricht vom Scheitern des "größten Rettungsplans für die Finanzmärkte seit der Großen Depression" in Eilmeldungen über den Äther, die Sites der großen Zeitungen überschlugen sich: Von "einen dramatischen historischen Augenblick", schrieb die "New York Times", von einer "überraschenden und dramatischen Ablehnung des heikel ausgehandelten Plans" das "Time"-Magazin. "Kongress ignoriert Warnungen vor Wirtschafts-Katastrophe", titelte der "San Francisco Chronicle", "Die Abgeordneten scheinen das alles noch nicht ernst genug zu nehmen", hieß es bei der "Washington Post".

Vor allem in den regionalen Zeitungen zeigte sich deutlich, was die Menschen jenseits der Wall Street fühlen: Panik. Innerhalb weniger Minuten füllten sich die politischen Blogs und die Kommentarspalten mit Einträgen, einzelne Artikel bekamen in kürzester Zeit Tausende von Leserkommentaren.

Sie alle verbindet eines: Wut über die Großen in Politik und Wirtschaft: "Die Republikaner haben den Rettungsplan versenkt, deshalb sind die Aktienmärkte um fünf Prozent abgestürzt. Wenn man wie die meisten hier eine aktienbasierten Rentenversicherung im Wert von 100.000 Dollar hat, hat man 5000 Dollar verloren. Dank den Republikanern!", schreibt etwa ein gewisser George auf den Seiten der "New York Times".

"Ich frage mich, wer von uns es sich leisten kann, seine Ersparnisse, seine Pensionen, seine Ausbildungsversicherungen, den Wert seiner Häuser und wahrscheinlich auch bald seinen Job verschwinden zu sehen, nur weil bestimmte Kongressmitglieder mehr damit beschäftigt sind, wiedergewählt zu werden als dieses Gesetz zu verabschieden. So mangelhaft es auch sein mag – es würde trotzdem den beispiellosen Absturz der Wirtschaft stoppen. Die wenigsten scheinen zu verstehen, dass mit der Wall Street auch die Gesundheit und Lebendigkeit unserer Wirtschaft zusammenhängt", schreibt auch Melissa.

"Die Menschen hier sind sauer darüber, dass vor allem McCain und die Republikaner versucht haben, die taumelnde Wirtschaft und die Diskussion über das Rettungspaket für ihre Wahlkampfspielchen zu benutzen", sagt Lois Kazakoff, Kommentarchefin beim "San Francisco Chronicle". "Denn seit mit Wachovia auch eine der wirklich weit verbreiteten Banken ins Trudeln geraten ist, bei der viele kleine Leute ihr Sparbuch haben, hat sich die Angst verstärkt. Viele haben schon Geld verloren, weil ihre Aktien abgestürzt sind."

Tatsächlich wird den meisten Amerikanern langsam mulmig, was anfangs noch mit Galgenhumor genommen wurde, wird bitterer Ernst. Wurden vergangene Woche noch E-Mails mit humoristischen Kettenbriefen herumgeschickt, in denen Finanzminister Henry Paulson um ein paar Dollar bat, ist den meisten das Lachen inzwischen vergangen. Wo immer man sich am Montag umhört, im privaten Umfeld, im Büro oder auf der Straße – es gibt nur ein Thema: die Finanzkrise. Wo immer sich ein Fernseher findet, bleiben die Menschen kurz stehen und kommentieren die Bilder, die über die Bildschirme jagen.

Hilflosigkeit und schiere Wut

In der Mittagspause stehen sie in Schlangen in den Sandwich-Läden und diskutieren – hilflos und von der schieren Wucht der Krise überfordert. "Ich habe nicht viel Geld, aber alles, was ich habe, liegt auf einem Konto der Washington Mutual", sagt Misch Anderson, die in einem Reisebüro in San Francisco arbeitet. "Ich habe keine Ahnung, was damit jetzt passiert. Aber ich weiß momentan einfach nicht, was ich damit machen soll." "Mein Bruder hat seine gesamten Ersparnisse abgehoben – nachdem er schon einige Tausend Dollar verloren hat", erzählt ein anderer Mann in der Schlange. "Das Geld behält er jetzt in bar zuhause – das ist zur Zeit wahrscheinlich sicherer als bei jeder Bank."

Neben der Angst wächst auch die Wut auf die Finanzwelt, auf die Banker der Wall Street, die erst Millionen verdient haben – und jetzt für Milliardenverluste weltweit verantwortlich sind. Die ein politisches Rettungpaket notwendig gemacht haben, das bei den meisten Menschen ob der Höhe und ob der wenigen Informationen, die es bislang dazu gibt, nur mit einem Kopfschütteln bedacht wird.

"Das ist kein ‚Rettungsplan’, das ist eine Zugabe für arme, zerlumpte Wall-Street-Banker, die unsere Wirtschaft scheinbar ohne eigenes Zutun an den Rande des Desasters und ihre Shareholder auf die saubere Seite gebracht haben", kommentiert zum Beispiel Jay aus Palo Alto in einem Blog der "New York Times". "Und warum auch nicht: Sie sollen schließlich auch was zurückkriegen, nachdem sie das ganze Geld für Lobbyisten und Wahlkampfspenden ausgegeben haben."

Flucht in den Galgenhumor

Zur Wut kommt die Hilflosigkeit – denn der Crash der Finanzmärkte ist für viele nicht mehr zu verstehen. "Warum und welche Banken jetzt bankrott gehen und was das alles für Folgen hat, ist momentan ja selbst für Experten kaum zu überschauen", sagt Kazakoff vom "San Francisco Chronicle". "Wie sollen das ‚normale Menschen’ dann nachvollziehen können?"

Am Ende bleibt – mal wieder – nichts als Galgenhumor. In San Francisco witzelt ein Mann in einem Cafe über die Folgen des schwarzen Montags: "Ich hörte, sie springen inzwischen schon wieder von der Golden Gate Bridge – dieses Mal von der Westseite. Das zeigt, wie verzweifelt sie sind."

Denn an der Westseite der Brücke wartet der Pazifik – hier wird die Rettung schwieriger.

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