Sonntag, 24. Mai 2009

Wiedereröffnung der Freiheitsstatue: Im Hirn von Lady Liberty


WIEDERERÖFFNUNG DER FREIHEITSSTATUE

Im Hirn von Lady Liberty

Darauf haben die Touristenmassen in New York gewartet: Am US-Unabhängigkeitstag wird das Innere der Freiheitsstatue wieder eröffnet - samt Zugang zur winzigen Krone. SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent Marc Pitzke bekam von den Behörden schon mal eine Vorschau gewährt.

New York - Das Hirn der Lady ist hohl. Ein niedriger, krummer, schwüler Raum. 22 Etagen über dem Wasser, zusammengehalten von einem Skelett schmaler Stahlträger, vernietet und verkleidet mit hauchdünner Kupferhaut. Der Besucher erreicht es über eine steile Wendeltreppe, 354 schmale Stufen.

Die 25 Fenster, die die Krone markieren, öffnen sich zum Hafen, und wer sich an der schrägen Stützwand mutig vorlehnt, kann links sogar ein Stück Skyline sehen. Tief unten steht ein winziger Wärter, wie ein Spielzeugsoldat.

Wenigstens sind die Fenster heute verglast. Früher waren sie das nicht. Als erster und einziger krabbelte 1929 ein Herr namens Ralph Gleason hindurch, um Selbstmord zu begehen. Dann überlegte er es sich anders, versuchte umzukehren, rutschte aber aus, "schoss abwärts und prallte dabei an der Brust der Statue ab", wie die "New York Times" meldete. Er landete 90 Meter tiefer tot auf dem Rasen.

Als zwei Helikopter niedrig vorbeiknattern, vibriert das klaustrophobische Gehäuse, in das gerade mal zehn Personen passen. Der schiefe Boden brummt unter den Füßen. Der stickige Raum in der Krone ist nichts für Menschen mit Höhenangst.

Den Kopf verbiegen für einen Blick auf die Krone

Man hängt schräg über dem Hafen, dessen Tuten und Segelklappern gedämpft durch die nur 2,4 Millimeter dünne Kupferschicht dringt. Die brüchigen Adern des rechten Statuenarms sind aus nächster Nähe zu sehen, auch der Griff der Fackel und, wenn man den Kopf verbiegt, eine der sieben Zacken der Krone, die die sieben Kontinente oder die sieben Meere repräsentieren sollen - je nachdem, wem man glaubt.

"Wenn du als Terrorist ein Zeichen setzen willst", sinniert Gastgeber Darren Boch vom National Park Service, "wäre die Freiheitsstatue sicherlich ein gutes Ziel." Rein hypothetisch natürlich.

Fast acht Jahre lang war es versperrt, das mythische Innere der Statue of Liberty - jenes "wichtigste Wahrzeichen unserer Nation", wie Boch sagt, ein bulliger Mann, der selbst etwas vom Aufstieg keucht. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 galt es eben einfach als zu riskant, zumal der einzige Zugang zu Kopf und Krone - zwei kleine, ineinander verschlungene Eisentreppen - längst nicht mehr feuerpolizeilichen Ansprüchen genügt. Hier kommt im Ernstfall so schnell keiner raus.

Am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, soll dieser höchste Aussichtspunkt mitten im New Yorker Hafen nun wiedereröffnet werden. Ein Datum, so symbolisch wie das Monument selbst: Die Statue war ein Geschenk Frankreichs zur Hundertjahrfeier der Unabhängigkeitserklärung 1876. Das Podest ist zwar seit 2004 schon wieder zugänglich, nach einer 20-Millionen-Dollar-Renovierung. Der Alkoven in der Krone blieb aber bisher versperrt. Der National Park Service ließ SPIEGEL ONLINE aber bereits jetzt die Treppenstufen hinauf steigen.

In 214 Kisten nach New York

Ein Küstenwachenboot namens "Lady Liberty III" befördert frühmorgens eine Handvoll Arbeiter und Angestellte des Park Service, des zuständigen Nationalpark-Amts, vom Battery Park an der Südspitze Manhattans herüber. Erster Zwischenstopp ist Ellis Island, bis 1954 Hauptanlaufpunkt für Einwanderer, heute eine Museumsinsel. Von dort sind es nur wenige Minuten bis zum Liberty Island, auf dem die Freiheitsstatue die einlaufenden Schiffe grüßt.

Diese Insel, damals noch Bedloe's Island genannt und Standort eines Forts, hatte der französische Bildhauer Frédéric Bartholdi 1871 beim ersten Ortstermin als Heimat seiner Mammutstatue auserkoren. Nach einigem Hin und Her und etlichen Fehlentwürfen - eine Version der Statue hielt die Fackel in der linken Hand - kam das Projekt schließlich in Gang.

Verlegerlegende Joseph Pulitzer sammelte einen Großteil der Gelder für den von den USA finanzierten, 50 Meter hohen Sandsteinsockel. Der Rest kam unter anderem durch Lotterien und einen Poesie-Wettbewerb zustande. Als das Podest 1886 fertig war, warfen die Maurer Silbermünzen in den noch feuchten Mörtel.

Die Statue selbst - 46 Meter hoch, 204 Tonnen schwer, "Schuhgröße 876" (Boch) - wurde in Paris montiert, dann wieder in 350 Einzelteile zerlegt und in 214 Kisten nach New York verschifft. Der rechte Arm samt Fackel war bereits 1876 zur amerikanischen Jahrhundertfeier nach Philadelphia gekommen. US-Präsident Grover Cleveland - der sich als Gouverneur der Finanzierung widersetzt hatte - eröffnete das Monument am 28. Oktober 1886.

"Machen Sie Pause, wenn Sie keine Luft mehr kriegen"

"Dieser Ort hat auch für mich eine sehr persönliche Bedeutung", sagt Darren Boch. "Meine Großeltern kamen in Ellis Island an, aus Sizilien und aus Deutschland. Die Statue war das Erste, was sie von ihrer neuen Heimat sahen." Vier von zehn Amerikanern, sagen sie hier, können ihren Stammbaum physisch an Ellis Island und "Lady Liberty" vorbeizeichnen.

Diese Erinnerungen finden sich heute in einem Museum im Sockel der Statue verewigt. Von dort geht's steil nach oben, Stufe für Stufe. Ein Parksanitäter gibt eine kurze Einweisung. "Passen Sie auf Ihren Kopf auf", sagt er. "Achten Sie, wohin Sie treten. Machen Sie Pause, wenn Sie keine Luft mehr kriegen."

Anfangs ist die Treppe noch breit, bald verengt sie sich, zum Schluss wird sie zur schmalen, steilen, schwindelerregenden Spirale. Langsam klettert man durchs Gerüst hoch, zwischen den tief im Fundament verankerten, gebogenen, gewundenen, kreuzvernieteten Stahlträgern hindurch, die die bronzene Außenhaut tragen wie eine überdimensionale Kuchenbackform.

Früher dauerte es zwei Stunden, bis man so die Spitze erreicht hatte, da sich Hunderte Besucher gleichzeitig in dem engen Aufstieg ballten. Wer einmal begonnen hatte, konnte nicht mehr zurück. "Das", erinnert sich Boch, "fanden nicht alle immer überwältigend."

Streit um die steile Siege

Im Gegenteil. Die Wiedereröffnung der Krone stieß auf heftigen Widerstand des Park Service. Bei einer Kongressanhörung 2007 sagte dessen Vizedirektor Daniel Wenk, Bartholdi habe seine Statue "nie als etwas beabsichtigt, das man besteigen könnte". Als die Statue 1933 in die Obhut des Park Service ging, hatte Liberty Island weniger als 200.000 Besucher im Jahr. 2006 waren es mehr als 2,5 Millionen - obwohl die Wendeltreppe der Statue, so Wenk, nur für Wartungspersonal gedacht sei, "nicht für andauernde, alltägliche Besteigung".

Die einzige Möglichkeit, den Aufstieg katastrophensicher zu gestalten, wäre nach Auffassung des Park Service ein neuer, 22-stöckiger Turm neben der Statue, mit einer Gangway an der Spitze. Das hält das Amt natürlich für "inakzeptabel". Doch der demokratische Kongressabgeordnete Anthony Weiner - der nächstes Jahr womöglich für das New Yorker Bürgermeisteramt kandidieren wird - trommelte unermüdlich für einen öffentlichen Zugang zur steilen Stiege.

Also wurde jetzt ein Kompromiss gefunden: Ab 4. Juli soll die Krone nur noch in Zehnergruppen erklommen werden können, die Teilnehmer werden per Online-Reservierung ausgewählt. "Das wird ein sehr intimes, sicheres Erlebnis", hofft Boch. "Wahllos zusammengewürfelte Leute, die beim Erklimmen über die Freiheit plaudern können."

US-Innenminister Ken Salazar verkündete die Wiedereröffnung der Krone Anfang Mai persönlich bei einer Visite auf Liberty Island. Zuvor hatte er selbst die 354 Stufen absolviert. Sein atemlos-begeistertes Fazit: "Phantastisch!"


spource:spiegel

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