Sonntag, 22. November 2009

HOLLYWOOD Der Boulevard der Träume





HOLLYWOOD

Der Boulevard der Träume

Kann eine Straße ein Versprechen sein? Ein Versprechen auf Glamour und Glück, auf Ruhm und Reichtum? Am Sunset Boulevard in Los Angeles glauben die Menschen jedenfalls ganz fest daran.

Marco Weber ist der Herr des Sunset Boulevard, zumindest, was den Ausblick betrifft. Der deutsche Präsident von "Senator Entertainment Inc." residiert mit seiner Firma im 16. Stock der Hausnummer 9000, des höchsten Gebäudes weit und breit, an einer Erhebung des Boulevards. Scheiben bis zum Boden, extra hohe Decken, früher war es ein Penthouse, dann ein Club, auf dessen Dach sich einst Doors-Sänger Jim Morrison filmen ließ, jetzt ist es das Büro mit dem wahrscheinlich sensationellsten Blick der Stadt.

Unten blitzen die endlosen Autokolonnen auf der Straße, die wie keine andere weltweit die Menschen zum Träumen bringt. Ein 23 Meilen langes Asphaltband, das sich vom sogenannten Downtown L.A. zum Pazifik schlängelt und dabei Hollywood, West- Hollywood und Beverly Hills durchquert. Sunset Boulevard, allein der Name klingt nach Triumph und Untergang, Glamour und Elend - und nach großer Inspiration. Billy Wilder drehte 1950 seinen Film "Boulevard der Dämmerung", Andrew Lloyd Webber machte Anfang der 1990er ein erfolgreiches Musical draus.

Weber blickt auf die berühmten Musikclubs, das "Roxy" und das "Rainbow", das "Whisky a Go Go" und den "Viper Room". Klein sehen sie aus, schäbig irgendwie, dahinter erhebt sich sanft ein grüner Hügel, kein Haus unter einer Million, vielleicht auch zehn, die Zahlen gedeihen gut unter der hellen Sonne. Auf der anderen Seite der Etage wabert L.A. bis zum Horizont.

Entspannt sitzt Weber hinter dem großen Schreibtisch in T-Shirt und Jeans. Er hat Filme mit Julia Roberts und Willem Dafoe produziert, Kim Basinger und Mickey Rourke haben für ihn gearbeitet. Er zeigt auf den Garten eines Bungalows, in dem einer der reichsten Männer der IT-Branche wohnen soll, der sich hinter hohen Hecken unbeobachtet fühlt. Da unten ist immer Frauenalarm, erzählt Weber, fast jeden Tag sonnen sich ein paarhübsche Models oben ohne im Garten. Weber lacht. Es ist ein schönes Büro. Er arbeitet hier, er geht auf dem Sunset aus: It's all about entertainment.

Wenn seine Kinder montags zur Schule gehen, diskutieren sie mit ihren Schulkameraden, welcher Film am Wochenende die meisten Karten verkauft hat. Ihre Eltern sind auch Produzenten, Schauspieler, Autoren, sie selbst wollen Produzenten, Schauspieler oder Autoren werden. Webers neunjährige Tochter ist gerade in einem Tanz- und Schauspiel-Camp. "Da ist für die so normal wie Fußball für Kids in Deutschland." Er nickt Richtung Traumhügel, da hinten irgendwo wohnt er mit seiner Frau und den vier Kindern, Deutschland ist weit weg, das Meer so nah. "Das ist der schönste Ort der Welt. Ich will nirgendwo anders leben." Man darf sich Marco Weber als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Nachts ist die Straße vor seinem Büro nicht wiederzuerkennen. Dunkelheit und Leuchtreklamen lassen die schlichten Gebäude geheimnisvoller aussehen. Die erste Adresse ist der legendäre "Viper Room", in dem schon Oasis, die Red Hot Chili Peppers und Johnny Cash auftraten. Weltbekannt wurde der Laden, an dem auch mal Johnny Depp beteiligt war, als Schauspieler River Phoenix 1993 vor der Tür an einem Drogencocktail starb. Nach einer Viertelstunde drinnen fühlt man sich allein wegen der Mischung aus Guns N' Roses und Michael Jackson sterbenselend. Das Publikum erinnert an eine launige Osnabrücker Tanzrunde, da hilft nur ein Jägermeister, der kostet neun Dollar.

Auftritt der Gruppe Ultraviolet Sound, Sängerin Sarah Hudson zischelt über die Winzbühne wie Lady Gaga auf Speed, der Elektrobeat hämmert, das Licht flackert, die ersten Arme werden gen Decke geschmissen, eigentlich gar nicht schlecht hier, geht doch. Aber jetzt bloß nicht zu wild werden, warnen doch Plakate auf den Straßen: "Du kannst der letzten Nacht nicht entkommen. Syphilis ist in L.A. um 400 Prozent gestiegen." Diese Amis. Schnell ins "Roxy". Dichtgedrängt stehen hier die Massen, die Band The Glitch Mob prügelt dem Publikum vor flackernden Videoprojektionen Bässe und Beats um die sehr behaarten Köpfe, kaum jemand tanzt. Vielleicht wollten alle eigentlich ins "Whisky a Go Go", denn da lassen die Jungs einer schwedischen Rock-Combo ihre langen Haare fliegen, unter den Zuschauern sind etliche Axl- Rose-Doppelgänger, der hier auftrat, als seine Guns N' Roses noch nicht berühmt waren.

Der Sunset Boulevard ist Rockstraße durch und durch. Da gibt es Läden wie "Sugar Baby", extra für "Rocker Moms not Soccer Moms", unweit davon die "Mr. Musichead Rock Art Gallery", und natürlich: Tattoo-Studios. Nirgendwo sieht man mehr tätowierte Haut. Mit Ausnahme eventuell von Hochsicherheitstrakten oder Hardrock-Konzerten. Die Stadt, der wie keiner anderen nachgesagt wird, die Oberfläche zu zelebrieren, schöpft auch diese Möglichkeit radikal aus. Große Flächen müssen es sein, der Trend geht zum eingefärbten Arm. It's only rock 'n' roll but I like it. Doch so ein Arm ist schnell voll, was dann?

Die Frauen entdecken gerade die Möglichkeiten unter dem Arm bis zur Hüfte, sagt Graham Chaffee, Chef von "Purple Panther Tattoos", einem kleinen Studio in Hollywood. Er ist knapp über 40, hat graue, kurze Haare, trägt eine Nickelbrille, die Körpermalereien wachsen aus seinem kurzärmeligen Blumenhemd über die Arme, den Hals hoch, über die Brust. Rosen, Spinnweben, Farbstränge, alles fließt und greift ineinander - Graham identifiziert sich sehr mit seinem Geschäft. Gerade berät er Jennifer, die die ersten 27 Jahre ihres Lebens mit einer schwarzen Biene auf dem linken Unterarm ausgekommen ist, für hiesige Verhältnisse eine Überraschung. Sie ist etwas blass und nickt, als sie "ihr" Bild in einem Katalog entdeckt: ein alienhaft aussehendes Baby. Den kompletten rechten Unterarm will sie damit stechen lassen. "Ich habe gerade eine harte Zeit in meiner Beziehung", sagt sie. Man glaubt es sofort.

Fährt man von Grahams Laden weiter stadteinwärts, erreicht man bald Amoeba Music Hollywood, einen unabhängigen Musiktempel, der die großen Ketten überlebt hat und mehr als eine Million CDs und unzählige Raritäten anbietet: ein Mekka für Vinyl-Fans und eine Trutzburg gegen die mp3-Welt da draußen. Die Mitarbeiter am Counter sehen aus wie Roadies bei einem Festival, die Haare bunt, fast alle in Schwarz, natürlich. Weiter östlich folgt Silverlake, das Viertel für Schwule und Kreative, danach wird die Szenerie gesichtsloser und auch ein bisschen kaputter, noch flacher und einfacher die Gebäude, an jeder Ecke ein Schnapsladen, Beverly Hills wirkt hier wie ein fremder Planet. Streckenweise sieht es weiter östlich aus wie auf der Hauptstraße einer namenlosen Kleinstadt.

So spektakulär der Sunset Boulevard am Meer endet, so unspektakulär beginnt er: an der Ecke eine Schule, gegenüber ein Bürogebäude, ein bisschen weiter rauscht der Freeway, kein Mensch auf der Straße, nur Autos, Autos, Autos. Oasen sind die eindrucksvollen Hotels entlang dem Sunset. Sie sind mehr als nur Herbergen für Touristen, die Angelenos bereden ihre Geschäfte und den neuesten Klatsch in der Polo Lounge des edlen "Beverly Hills Hotel" oder im Garten des altehrwürdigen "Chateau Marmont", sie nehmen abends in der "SkyBar" des "Mondrian Hotel" einen Drink oder gehen im "Andaz" essen, die Jüngeren tanzen nachts im Club des "Standard". Im Kampf um Aufmerksamkeit zählt jeder Punkt. So munkelt man gern, dass John Belushi 1982 an einem Speedball, Koks plus Heroin, in einem der Bungalows des "Chateau Marmont " starb - traurig, ja, aber irgendwie auch cool. Hollywood eben.

Andere gehen exotischere Wege: Hinter der Scheibe in der Lobby des "Standard" geht plötzlich das Licht an, ein Körper liegt da auf Kissen, eine schöne junge Frau in sehr kurzen weißen Shorts und Shirt blickt in ihren Laptop, unwirklich nah, seltsam intim die Situation vor den Augen aller, sie beachtet niemanden, bis die Dunkelheit sie wieder verschluckt, eine Sequenz wie aus einem Traum. Dieses "Kunstobjekt " ist ein Markenzeichen des Hotels, jeden Nachmittag steigen junge Damen zur Schicht in die Glaskiste.

Wer keine Depression kriegen will, sollte übrigens den Poolbereich des "Standard" meiden. Vor allem an den Wochenenden strömen die schönen, jungen Coolen herbei zum Chillen bei süffigen Beats vom Live-DJ. Es gibt hier kein Fett, keine Problemzonen, schiefen Zähne oder unreine Haut. Es ist ein bisschen wie in einem Werbespot, so viele Sixpacks, knappe Bikinis und Highheels, schlanke Finger, die auf Blackberrys herumspielen, ein Körperfest der besonderen Art. Was immer die alle sonst treiben mögen: Gut aussehen können sie sehr gut, denkt man - und meldet sich im Geiste sofort wieder daheim im Gym an.

Abends geht man dann aber doch ins Restaurant "Le Petit Four" auf dem Sunset Plaza, mitten in dem Teil des Boulevards, der einst als verkommen galt und heute schick ist. Kleine Häuser, nette Restaurants, hier französisch, dort italienisch, Europa-Kulisse zum Dinner. Ein bisschen Verkehr wie auf der A3 am Freitagabend, zwei Meter vor dem Tisch, das stört niemanden. Geradezu leise rollen die endlosen Kolonnen über den Asphalt. Vielleicht benutzen sie hier einen besonders zarten Bodenbelag, vielleicht fahren alle einfach entspannter.

Das Auto ist in L. A. Überlebensmittel und privates Rückzugsgebiet in einem, Stunden steht jeder jeden Tag in endlosen Schlangen, das macht gelassen. Wer den Verkehr beobachtet, muss sich um die europäische Autoindustrie keine Sorgen machen. Porsche und BMW, Mercedes und Bentley, Land Rover und Ferrari, es ist eine Demonstration kontinentaler Ingenieurskunst und überflüssiger Motorenkraft, denn schnell fahren kann hier niemand, wo denn auch?

"In dieser Stadt wirst du nach deiner Kleidung, deinem Aussehen und deinem Auto beurteilt", hatte am Nachmittag Sam Telikyan gesagt, der vor mehr als 20 Jahren mit seiner Familie aus Armenien kam und aus einer Holzbaracke heraus glänzende Schlitten vermietet und amerikanisch philosophiert. Er hilft solventen Kunden, richtig beurteilt zu werden. Auf dem Hof stehen ein Rolls-Royce (2000 Dollar pro Tag), ein Bentley (1200 Dollar), mehrere Ferraris (1700 Dollar) und Lamborghinis (1800 Dollar), mit Chauffeur kann man einige Wagen auch für 300 Dollar pro Stunde mieten. Es seien Geschäftsleute und Urlauber, die abends standesgemäß am Club oder Restaurant ihrer Wahl vorfahren wollen. Ab und zu sei es auch ein echter Star, sagt Sam und grinst. Ein echter Star hier in seiner Holzbaracke, das ist wohl sein ganz persönlicher amerikanischer Traum.

Andernorts gehen die Stars ein und aus, ganz normal. Sie stöbern gerne im "Book Soup", dem wahrscheinlich berühmtesten Buchladen L.A.s auf dem Herzstück des Boulevards, dem Sunset Strip, jenen anderthalb Meilen zwischen Hollywood und Beverly Hills. Es ist angenehm kühl, die Stille ungewohnt. Schwarzes Holz, dicke Bildbände in allen Größen, Raritäten, wenig Taschenbücher, wer hier einkauft, muss nicht unbedingt sparen. Paris Hilton sei regelmäßig hier, rutscht es Manager Tyson Cornell irgendwann heraus, ja, sie lese sehr viel, an manchen Tagen komme sie manchmal nur vorbei, um die gerade beendete Lektüre zu diskutieren. Der Mann mit dem zotteligen Bart und den tätowierten Unterarmen schaut seinem Satz etwas verwundert hinterher und macht eine wegwischende Handbewegung. Eigentlich will er gar nichts über seine prominenten Kunden erzählen, normales Business, Hollywood eben.

Überall joggen sie am Sunset, direkt neben der Straße, manchmal auf dem Asphalt, in knappen Shirts, die Körper sind gestählt, definierte Muskelstränge überall, wohlproportioniert, schön anzuschauen. Der Körper ist für viele ihr Kapital. "Der Druck, gut auszusehen, ist in einer Entertainment-Stadt, wo viele mit ihrem Aussehen Geld verdienen wollen, größer als anderswo", sagt Schönheitschirurg Steven Svehlak von "Sunset Cosmetic Surgery".

Es ist sieben Uhr morgens, er und sein Kollege Daniel Yamini haben ihre blauen Operationssachen bereits an und nicht viel Zeit, um acht Uhr kommen die ersten Patienten, die letzten werden am Abend die Operationsräume verlassen, so geht das pausenlos, Tag für Tag, das Geschäft boomt. Im Büro hängen Diplome an den Wänden, wie kleine Quallen liegen in den Regalen Brustimplantate in allen Größen, aus Silikon und mit Salzlösungen. Touch and feel the difference, fordert ein Zettel auf, in diesem Zimmer entscheiden Frauen, ob sie aussehen wollen wie Pamela Anderson oder wie ein irdisches Wesen. Die Zeit der argen Übertreibungen sei vorbei, sagen die Chirurgen, heute wolle jeder nur seinem Alter entsprechend möglichst gut aussehen - ohne dass die anderen den Eingriff gleich bemerken.

Das Duo bietet fast alles an, von der Rundumerneuerung, insbesondere nach Schwangerschaften sehr beliebt, bis hin zum schnellen Faltenglätten in der Mittagspause - noch beliebter. Die Hälfte der Kunden kommt aus der Stadt, ein Drittel von außerhalb, der Rest sind Ausländer. Svehlak berichtet von einem Mann, dem er erklärt hatte, er könne ihn zehn Jahre jünger wirken lassen. Da habe der entsetzt geguckt, viel zu wenig sei das. Schon lag ein Foto auf dem Tisch, das der Patient mit Photoshop selbst bearbeitet hatte: So wolle er aussehen. Eine andere Person habe ihn von dem Bild angeschaut, sagt der Doktor entsetzt, das habe er abgelehnt. Eine Ausnahme.

Er zupft sich leicht am weichen Kinn, ja, da habe er selbst auch einmal was absaugen lassen, das typische Männerproblem, er lacht. Die Stirnfalten des Reporters wären auch kein Problem, obwohl, dann würde die Haut nach unten sacken, auf die Augen, nicht schön, aber da könnte er… Können Schönheits-OPs süchtig machen, Dr. Svehlak? Er hält für eine Sekunde inne. Er nickt, lächelt, ja, so etwas in die Richtung. Er muss los, die Realität wieder zurechtschneiden.

"Los Angeles is based on bullshitting", erklärt John J. Nazarian, von Beruf Privatdetektiv, und schüttet mehr Sirup auf seine Pfannkuchen. Große Sprüche und große Auftritte sind seine Spezialität. Er trägt an den Fingern Ringe, groß wie Kieselsteine, um den Hals eine Kette, mit der man kleine Elefanten festbinden könnte. Das T-Shirt spannt ein massiger, aber straffer Körper. Viel lieber zeigt sich Nazarian in Anzügen, das wirkt besser am Sunset Boulevard, dort ist sein Revier.

Er hat für Vin Diesel gearbeitet und kürzlich für Courtney Love, die von einer Kreditkartengesellschaft einiger Unregelmäßigkeiten beschuldigt wurde. Love nannte ihn öffentlich "einen der besten Privatdetektive der USA",jetzt hat Nazarian genug von ihr. Er geht nicht ins Detail, aber "Leute, die meinen Ratschlag wiederholt missachten, brauchen mich nicht". Er trägt Glatze zum schwarz gefärbten Bart und kann sehr böse gucken. Hinter seinem Haus ("zwei Millionen Dollar wert") liegt ein bisschen Gerümpel, in der Garage stehen ein Rolls- Royce, ein Bentley und eine neue Harley-Davidson. Auf einem Nummernschild steht "Love2spy".

Ungefragt erzählt er, wieviel zehn- oder hunderttausend Dollar dieses oder jenes Teil gekostet hat. Alles nicht wirklich diskret. Passt das zum Job? "Ein teures Auto steht für Erfolg", sagt er und faltet die massigen Hände, "wer keinen Erfolg hat, wird nicht gebucht, wer nicht mitmacht, ist draußen." Der Großteil seines Geschäfts sind Scheidungs- und Seitensprungfälle, er tritt in Talkshows auf und betreibt seine Website "desperateexes.com". Er nimmt 400 Dollar pro Stunde und 10.000 Dollar Vorschuss, Spesen extra. In seiner E-Mail-Adresse hat er sein wichtigstes Geschäftsprinzip verewigt: willspy4money@…

Gerade in Scheidungsfällen, so Nazarian, hätten oft die Frauen Angst, ihren Lebensstandard zu verlieren oder von den Ehemännern übervorteilt zu werden. An dieser Angst verdient er. Dafür macht er auch die Drecksarbeit, fährt nachts durch die Straßen von Beverly Hills, sucht in Mülltonnen nach Beweisen. "Eigentlich hasse ich den Job, aber er bringt viel Geld, das ist, was in L.A. zählt." Für einen Augenblick muss der Sprücheklopfer über sich selbst lachen, dann guckt er wieder grimmig.

Es sind Kunden von Martin Weiss, an deren Häusern Nazarian vorbeifährt. Kopfschüttelnd geht der Grauhaarige durch den Vorraum des Großraumbüros an der Grenze zu dem Bezirk, wo der Asphalt plötzlich so sanft und ruhig wird, dass man schon am Fahrgeräusch erkennt: Jetzt sind wir in Beverly Hills. Die 150 Arbeitsplätze sind verwaist, es ist Samstag. Die jungen Leute mit ihrer Fünf-Tage-Woche, denkt der 83-Jährige, so kann man doch keine Geschäfte machen.

Seit1954 verkauft er Immobilien. Sein letzter prominenter Kunde war Elton John, dem hat er ein Apartment in den "Sierra Towers" nahe Sunset Boulevard verkauft, sagt er und lächelt. Sein Geld verdient er aber meist mit Industriellen, Erben, Vertretern mächtiger Familien und Konzernen. Blick, Größe und Nachbarn sind dann die Kriterien, nie aber die Kaufsummen, zehn oder 18 Millionen, völlig egal - wer nach dem Preis fragt, kann es sich sowieso nicht leisten.

Es sind die Anwesen, die man in Beverly Hills auf dem Weg zum Meer hinter hohen Hecken oder Mauern nur erahnt und selten richtig sehen kann, prachtvolle Gebäude in jedem nur denkbaren Architekturstil, Häuser, die vom Erfolg künden und von einem fremden Lebensstil. "In diesen Häusern, so großartig sie sein mögen, können Sie sich nie richtig zu Hause fühlen, so viele Zimmer, so viele Bedienstete, wie in einem Hotel."

An einigen Straßenecken sitzen Verkäufer und wedeln mit den "Star Maps", Stadtkarten, in denen echte oder vermeintliche Adressen von Celebrities verzeichnet sind. Um zu prüfen, ob sie stimmen, müsste man sehr viel Geduld und Verbindungen haben, die kein Tourist und ganz bestimmt kein Straßenverkäufer hat. Aber Illusion und Glaube können zufrieden machen, gerade hier.

Leicht fliegt man mit dem Auto über die kurvenreiche Straße, immer näher schraubt sich das Gefährt zum Meer. Doch kurz bevor der Sunset Boulevard praktisch im Wasser endet, liegt an der linken Straßenseite der Meditationspark von Yogi Paramahansa Yogananda (1950 gegründet), mit dem Lake Shrine Temple über einem überraschend idyllischen See, inklusive der Windmühlen-Kapelle, strahlend weißer Schwäne und dem Gandhi Memorial, in dem sich Aschereste des großen Inders befinden sollen. Dunkelbraune Holzspäne auf den Wegen lassen die Schritte federn, auf den Bänken und Rasenflächen sitzen Menschen mit geschlossenen Augen, versunken in Andacht oder auch nur entspannt. Es ist, als atme hier der Sunset nach 23 Meilen einmal durch. Aber nur kurz. The show must go on.


source: merian


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