Sonntag, 28. Dezember 2008

New York City zum berühmtesten Marathon der Welt

Fünf für New York

» New York Marathon, ein Traum wurde wahr!

Oh happy Day!

Am 2. November ist der Moment der Wahrheit da! Training war einmal - jetzt wird es ernst. Wir "Fünf für New York" sind in New York ... am Start zum berühmtesten Marathon überhaupt. Was werden die nächsten Stunden bringen? Ein ganz persönlicher Laufbericht.
Na endlich! 10.20 Uhr! Es geht los! Der Startschuss ertönt und auch die letzte Startwelle des New York Marathons 2008 setzt sich langsam und träge in Bewegung. Gott sei Dank ist jetzt das lange Warten vorbei und ich kann mich warm laufen! Seit heute morgen um 6.30 Uhr habe ich auf dem riesigen Sammelplatz im eisigen Wind auf diesen Moment gewartet. Zwar hatte ich mich warm eingepackt: Laufklamotten, dicker alter
Jogginganzug und darüber noch Regenzeug gegen den Wind, aber mit der Zeit ist die Kälte doch bis in die Knochen vorgedrungen! Da helfen auch nicht diverse Becher heißer Tee, die man an vielen Ständen auf dem
Gelände bekommen kann. Die Menge schiebt sich der Startlinie entgegen. Rechts und links liegen Berge von weggeworfenen Kleidungsstücken, die nur bis zum Start ihre Besitzer warm halten sollten. Jetzt werden sie nicht
mehr gebraucht, sondern ausgezogen und einfach an den Straßenrand geschmissen! Horden von Helfern sammeln sie ein und führen sie – angeblich – guten Zwecken zu .... die größte Kleidersammlung der Welt! Also, bis ich auch nur ein Teil meiner Sachen ausziehen werde, wird es bestimmt eine ganze Zeit dauern ... vor allen Dingen, wenn es weiter so langsam vorwärts geht! Bibbernd fange ich an zu traben. Da vorne ist endlich die Startlinie, markiert mit einem großen Tor und roten Gummimatten, die die Kabelage der Zeitnahme schützen.
Jetzt geht`s lo-os, jetzt geht`s lo-os! Ich nehme die erste Meile in Angriff! Gaaaanz langsam .... nur nicht zu schnell angehen .... genießen .... schauen .... wer weiß, ob ich noch einmal in meinem Leben hier her komme ....
Die erste Steigung der ersten Brücke ... der Verrazano-Bridge .... Ich bleibe wie vom Donner gerührt stehen! Meine Nackenhaare sträuben sich, Gänsehaut am ganzen Körper: Es sieht genau so aus wie auf den Fotos die ich mir vorher angeschaut habe. Ich laufe in ein Bild hinein ... und ich bin ein Teil davon! Es ist unglaublich! Die Tränen steigen mir in die Augen. Ich bin dabei! Ich, die im September 2006 an Brustkrebs operiert wurde. Ich, die im Januar 2008 als Nebenwirkung des Tablettencocktails einen leichten Schlaganfall hatte ... Es ist unglaublich! Schiffssirenen reißen mich aus meiner Rührseeligkeit und ich besinne mich darauf, weshalb ich hier bin. Entschlossen setze ich mich wieder in Bewegung, bin aber in Gedanken noch mit mir beschäftigt. Jetzt bin ich wirklich hier und laufe, obwohl es in den letzten Wochen gar nicht so ausgesehen hatte, dass der Traum noch Wirklichkeit werden könnte. Die zweite Leistungsdiagnostik, hatte mich fertig gemacht. Ich hatte monatelang genau nach Plan trainiert und sollte noch einmal meine Leistungsfähigkeit überprüfen lassen. Reine Formsache, wie ich dachte. Bei dem Training! Dementsprechend wurden mir auch verbesserte Werte bescheinigt, .... ich wurde darin bestärkt, zu laufen, da es meine Abwehrkräfte gegen den Krebs verbessert, .... aber bitte nicht so extrem! Alles, aber kein Marathon!!!! "Das Risikoprofil ist zu komplex!" Damit ging die Welt für mich unter! Und dafür die monatelange Schinderei? Tagelang war ich kaum ansprechbar. Lange Gespräche mit meinem Mann und die Einladung des Sterns trotzdem
mit nach New York reisen zu können, brachten mich wieder auf die Beine. Wenigstens dabei sein! Nur so tun als ob ...! Mal schnuppern, wie es wäre wenn ...! Und natürlich bin ich vernünftig und riskiere nichts! Ich bin ja nicht lebensmüde, im Gegenteil: Ich laufe ja, um zu überleben! Und mit diesen Vorgaben flog ich über den großen Teich ... Auch Dieter Baumann nahm mich gestern Abend noch einmal ins Gebet: "Christa, dass du uns keine Sorgen machst! Hör` zeitig genug auf! Höchstens den Halbmarathon!" Na klar, was sonst! Wie gesagt, ich bin ja nicht lebensmüde! Und jetzt bin ich wirklich hier und mitten drin statt nur dabei! Auch wenn ich nicht die ganze Strecke laufen darf, bin ich wild entschlossen viel zu erleben.
Und schon geht es los: eine Gruppe von chinesischen Läufern schließt zu mir auf. Sie haben einen Musikrecorder dabei und laufen alle genau im Takt. Dazu gibt "der Chef“"immer wieder laute Kommandos. Na, für mich wäre das nichts! Ich halte lieber bei den Feuerwehrmännern an, die mit ihrem riesigen Truck eine Seitenstraße abgesperrt haben und den Läufern zuwinken. "May I take a picture?" Na klar, aber sie ziehen mich
an ihre Seite und eine Feuerwehrfrau macht ein Foto von mir mit den starken Männern! Alle klatschen : "Hey, red lady! Big job!" Finde ich auch! Und weiter geht`s ! In der Zwischenzeit habe ich mich auch von meinen alten Klamotten getrennt. Nur die Regenjacke habe ich noch umgebunden, damit ich nachher, wenn ich aufgehört habe und in der Metro sitze, nicht friere. Aber nicht nur daran habe ich gedacht: ich habe auch Metroplan, Stadtplan, Kleingeld und meine Brille, ohne die ich die Pläne gar nicht entziffern könnte, dabei. Außerdem stecken in meinem Laufgürtel auch noch einige Müsliriegel, weil ich beim Laufen immer Hunger bekomme. Apropos ... ein kleiner Bissen darf schon einmal sein, dazu an einer Versorgungsstelle einige Schluck Getorade und zum Nachspülen etwas Wasser, damit der Mund nicht so klebt. Aber nicht den Magen überlasten, Vorsicht!
Und wieder Gänsehaut: als ich an einer Kirche vorbeilaufe, fangen die Glocken an zu läuten und ein Chor singt: "Oh happy day!" Besser kann man es nicht formulieren, ja, es ist ein Tag zum Glücklichsein! Vor
Freude muss ich gleich wieder anhalten und bei einer Band mittanzen, die alte Rock`n roll Musik spielt! Yeah! Die Instrumente sind aus alten Autoteilen zusammengebaut rocken aber ordentlich ab!
Je näher wir Manhattan kommen umso mehr Leute stehen am Straßenrand. Alle johlen, klatschen oder machen Lärm mit Trillerpfeifen. Es ist kaum zu glauben, welchen Krach sie veranstalten. Heute Abend werden sie bestimmt alle heiser sein. Und immer wieder stehen kleine Kinder an der Strecke, die den Läufern Apfelsinen- oder Bananenstückchen zur Stärkung reichen oder nur ihre Hände zum Abklatschen hinhalten. Eine alte Frau hat ein Körbchen in der Hand und verteilt einzelne Bonbons. So viele Leute nehmen Anteil an diesem Lauf und tragen auf eine ganz persönliche Weise zur besonderen Atmosphäre bei.
Und auch die Läufer sind, jedenfalls in diesem hinteren Teilnehmerfeld, etwas ganz Besonderes! Viele von ihnen laufen verkleidet. Einige Franzosen z.B. tragen Perücken in Landesfarben, die Frauen dazu wedeln die ganze Zeit mit Cancanröcken und zeigen Strapse! Ein Sportler möchte anscheinend unerkannt bleiben, denn er hat sich eine riesigen Pappleuchtturm übergestülpt, aus dem nur Arme und Beine herausschauen. "Larry, the lighthous"“ steht darauf. Andere wieder scheinen diesen Lauf als Wallfahrt zu begehen. Sie laufen mit Fotos auf
ihren Hemden, die Angehörige oder Freunde zeigen. "I´m running for Daddy!" "Greetings to Mum!" Was mich besonders berührt, sind die vielen Läufer, die ein Tricot mit dem Aufdruck: "Imagine a world without cancer!" tragen. Als ich eine Frau überhole, die zusätzlich noch die Aufschrift "Survivor" trägt, ist es mir meiner Fassung vorbei! Zum zweiten Mal muss ich ein paar Tränen verdrücken. "Ja, auch ich habe bisher überlebt, und wenn ich das heute schaffe, werde ich auch die Krankheit besiegen!" Das erzähle ich ihr als ich neben ihr herlaufe. Sie
nimmt mich fest in den Arm: "You will win!"
Aber was war das eben? Wenn ich das heute schaffe ...? Ich darf doch gar nicht! Obwohl ... die Kilometermarken am Straßenrand zeigen, dass ich schon fast an meinem Aussteigepunkt angelangt bin und ich fühle mich so gut wie noch nie nach so einer Strecke! Und jetzt soll ich gleich aufhören? Einmal ganz in Ruhe durchchecken: Füße sind in Ordnung, brennen nicht. Knöchel und Knie schmerzen nicht, laufen wie geschmiert. Waden und Oberschenkel, keine Muskelprobleme. Magen und Darm, kein Gluckern. Rücken, nicht verkrampft. Kopf, schmerzfrei. Mmmh, was tun? Ich laufe und grübele und grübele und laufe. Ich habe versprochen, vernünftig zu sein. Ich bin ja auch vernünftig – sonst würde ich doch nicht so lange nachdenken. Alle haben Angst um mich, dass ich mich überanstrenge und dann irgendetwas Schreckliches passiert! Aber es geht mir doch so gut!
Ein Spruch, der zu Hause über meinem Schreibtisch hängt, kommt mir in den Sinn: "Wenn man älter wird, ärgert man sich nicht über das, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat!" Und das gibt den
Ausschlag! Jawoll, ich laufe weiter! Hinterher können sie mich vierteilen oder mir die Freundschaft kündigen, aber dieses Erlebnis Marathon kann mir keiner mehr nehmen! Außerdem kann ich immer noch aussteigen, wenn es nicht mehr so gut geht.
Als diese Entscheidung gefallen ist, ist mir wieder viel leichter um`s Herz. Mein Mann ist selbst Sportler und er wird es verstehen, dass ich in dieser Situation mein Versprechen einfach nicht halten kann. Irgendwann wird er
trotzdem stolz auf mich sein, da bin ich mir sicher.
Inzwischen bin ich bei der zweiten Brücke, der Pulaski Bridge, angekommen. Neben mir schnaufen die Leute die Steigung hoch, viele gehen langsam. Ich laufe, als ob es gar nichts ist, in meinem Tempo weiter! Weiter, weiter ... Es ist grandios! Aber nur keine verfrühte Euphorie! Die Fachleute haben vorhergesagt, dass bei Kilometer 30 „der Mann mit dem Hammer“ stehen soll. Mal sehen, ob er mich auch trifft. Den sportlich durchtrainierten Mann neben mir hat er anscheinend schon fertig gemacht, denn er weint: "Oh Gottogott!" vor sich hin. 17 Meilen, 18, 19 und die vierte Brücke ... der Mann mit dem Hammer hat mich verpasst! Juchuuuh! Mir geht es immer noch gut! An der Strecke häufen sich jedoch die "break-downs"! Immer wieder sitzen Läufer auf der kalten Erde und pumpen ... einige übergeben sich ... einer hat den Weg auf das Toilettenhäuschen nicht mehr geschafft ... Auf der fünften Brücke kommt mir ein Krankenwagen mit Blaulicht entgegen. Was da wohl passiert ist? Später lese ich in der Zeitung, dass zwei Männer während des Laufs gestorben sind. Nur gut, dass ich das zu diesem Zeitpunkt nicht weiß!
So laufe ich unbeschwert und mit einem unsagbaren Glücksgefühl dem Ziel entgegen. Inzwischen zweifele ich nicht mehr daran, dass ich meinen ersten Marathon schaffen werde. Und zwar nicht irgendeinen, sondern in NYC! Der, der laut Experten der schwierigste sein soll! Der Central Park ist erreicht und an den vielen Fotografen, die auf Leitern stehen oder mitten auf der Laufstrecke sitzen, merkt man, dass es jetzt ernst wird. "1 mile to go!" Auf einer großen Videowand sehe ich mich selbst laufen! Irre! Das muss ich doch gleich fotografieren! Ein lautes Fluchen, ein harter Rempler als ich plötzlich anhalte. Auch aus dieser Welle scheinen einige hinter einer persönlichen Bestzeit her zu sein und nicht nur ankommen zu wollen. "Sorry!", aber das muss einfach sein! Und jetzt die Zielgerade! Letzte Anfeuerungen: "Red lady, you`ve done it!"
Ja, ich habe es geschafft! Bevor ich durch das Ziel laufe, bleibe ich auch hier noch einmal stehen, schaue es mir ganz genau an und mache auch noch ein Bild! Nach 5 Stunden und 5 Minuten laufe ich über die Ziellinie und habe zum dritten Mal Tränen in den Augen. Ich bin angekommen! Jeder Trainingskilometer, jede Blase am Fuß, jede Quälerei hat sich gelohnt für dieses Gefühl ... wenn man die Medaille umgehängt bekommt ... Großer Jubel macht sich in mir breit! Aber ich werde immer stiller! Ich weiß jetzt genau: Ich schaffe auch alles Andere ... ich besiege die Krankheit! Oh happy day!


source stern

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