Samstag, 22. November 2008

US-Webseite informiert über Straftaten in der Nachbarschaft auch in Deutschland

Rotten Neighbor: Rufmord darf kein Geschäftsmodell sein.
Gute Nachbarn, schlechte Nachbarn - bei "Rotten Neighbor" willkürlich von irgendwem festgelegt.

"Rufmord darf kein Geschäftsmodell sein"

Datenschützer: US-Portal soll deutsches Recht respektieren

von Alfred Krüger

Schleswig-Holsteins Datenschützer schlagen Alarm: Ein US-Nachbarschaftsportal hat sich zur Spielwiese für Denunzianten auch aus Deutschland entwickelt. Die Datenschützer fordern die Portalbetreiber auf, die Privatsphäre deutscher Nutzer zu schützen.

"Private" aus Meerbusch hält seine Nachbarin für "geistesgestört". "Derfox" aus Mainz beschwert sich über seinen "arroganten" Vermieter: "Seine einzige Taktik ist Einschüchterung." Und "Private" aus Regensburg denunziert seinen Nachbarn als "extremen Hundefeind": "Achtung! Schießt auf Hunde und vergiftet sie!" Die Einträge befinden sich auf "Rotten Neighbor", einer US-Webseite, die sich selbst als "erste Immobiliensuchmaschine" beschreibt. US-Blogger wie Justin Watt sehen das anders. Watt bezeichnet das umstrittene Web-2.0-Portal schlichtweg als "asoziales Netzwerk".

Gute Nachbarn - böse Nachbarn

Auf "Rotten Neighbor" kann jeder Nutzer Informationen über seine Wohngegend und Nachbarn hinterlassen. Die Portalbetreiber haben Google Maps, den Landkartendienst der Suchmaschine Google, in ihre Seite eingebunden. Hier kann man die exakte Adresse seiner Nachbarn angeben. Ein Symbol zeigt auf der Landkarte an, wo die "bösen" und zuweilen auch die "guten" Nachbarn wohnen.

Völlig abwegig ist die Idee der "Rotten Neighbor"-Betreiber nicht. Eine solche Webseite könnte helfen, die neue Nachbarschaft vor einem Umzug zumindest ansatzweise kennenzulernen. Webseiten wie das US-Portal "CrimeReports.com" verfolgen ähnliche Ziele. Sie listen akribisch alle Straftaten auf und ordnen sie per Google Maps geografisch ein. Die Nutzer solcher Portale können sich ein ungefähres Bild davon machen, wie sicher ihre künftige Wohngegend ist.

Im Unterschied zu "CrimeReports.com", wo die Daten direkt von der Polizei stammen, haben bei "Rotten Neighbors" die Nutzer das Sagen. Sie dürfen über ihre Nachbarn schreiben, was sie wollen. Eine Kontrolle findet nur durch die "Community" statt. Anstößige Einträge können gekennzeichnet werden. Ob sie dann auch gelöscht werden, entscheiden die Betreiber.

Portal für Denunzianten und Verleumder

"Rotten Neighbor"-Nutzer bleiben anonym. Zum Einloggen benötigt man nur eine funktionierende E-Mail-Adresse. Die Webseite wird in den USA betrieben und unterliegt dortigem Recht. Wer sich gegen einen verleumderischen Eintrag wehren will, hat denkbar schlechte Karten. Ein Blick auf die deutschen Einträge zeigt: Von der ursprünglichen Idee der Webseitenbetreiber - so sie denn überhaupt jemals ernst gemeint war - ist nicht viel übrig geblieben. "Rotten Neighbor" ist ein Portal für Denunzianten und Verleumder.

Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) sieht das ähnlich. Viele Einträge auf "Rotten Neighbor" seien "persönlichkeits- und geschäftsschädigend", sagen die Datenschützer. Das gelte zum Beispiel dann, "wenn von einem Kleingewerbetreibenden wahrheitswidrig behauptet wird, er würde Auszubildende sexuell belästigen." Rufmord dürfe kein Geschäftsmodell sein, so das ULD.

Rufschädigende Einträge gibt es auf "Rotten Neighbor" eine ganze Menge - nicht nur, aber auch über Bürger, die in Schleswig-Holstein wohnen. Nach einer Reihe von Medienberichten im Sommer dieses Jahres war die Zahl der Seitenzugriffe aus Deutschland erheblich gestiegen. Das Webportal war zeitweilig nicht mehr zu erreichen. Auch die Meldung "anstößiger" Einträge funktionierte nicht mehr. Betroffene Bürger hatten somit "keine Chance, sich rechtlich oder tatsächlich zur Wehr zu setzen", moniert das ULD.

Nach deutschem Recht strafbar

Die schleswig-holsteinischen Datenschützer haben deshalb einen offiziellen Brief an die Betreiber der Webseite geschrieben. Sie werden darin aufgefordert, das Land Schleswig-Holstein völlig aus der Webseite herauszunehmen. "Auf Grund von Beschwerden haben wir festgestellt, dass viele Tatsachenbehauptungen unwahr und herabwürdigend sind und viele Darstellungen einen beleidigenden und verleumderischen Inhalt haben", heißt es in dem Brief. Nach deutschem Recht hätten sich die Webseitenbetreiber sogar strafbar gemacht.

Dass der ungewöhnliche Vorstoß etwas mit Zensur im Internet zu tun haben könnte, weisen die Datenschützer aus Kiel weit von sich. Es gehe einzig und allein darum, die persönlichen Rechte der Betroffenen zu wahren. "Es ist mir unverständlich, wie die Verantwortlichen in den USA eine derartige massenhafte Verletzung der Privatsphäre hinnehmen können", sagt Thilo Weichert, Leiter des ULD. Mit dem "in den USA hochgehaltenen" Grundrecht auf freie Rede hätten die Einträge auf "Rotten Neighbor" jedenfalls nichts zu tun.

"Grundrechte mit Füßen getreten"

Die Portalbetreiber werden auch sonst mit deutlichen Worten abgekanzelt. "Ihr Unternehmen unternimmt (...) keine Schritte, um die Privatsphäre von diffamierten Personen auch nur ansatzweise wirksam zu schützen und nachträglich illegale Inhalte zu entfernen", so das ULD in seinem Brief. "Dass es in den USA (...) keine wirksamen Datenschutzgesetze geben mag, soll und darf nicht dazu führen, dass durch Ihr Angebot Grundrechte von Menschen in Schleswig-Holstein mit Füßen getreten werden."

Eine Kopie des Schreibens ging an die zuständige US-Aufsichtsbehörde Federal Trade Commission (FTC). Dennoch bleibt fraglich, ob die Kieler Datenschützer mit ihrem Beschwerdeschreiben wirklich etwas erreichen. Denn rechtlich steht ihr Verlangen auf tönernen Füßen. Die Webseitenbetreiber haben ihren Sitz in den USA und müssen sich nur an die US-Gesetze halten.


source zdf



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